Zahlbeziehungen bis 10

zahlbeziehungenBedeutungen der Zahlbeziehungen bis 10

 

Die Ziffern von 0 bis 9 und die Zahlbeziehungen bis Zehn können als das „Alphabet“ des Stellenwertsystems bezeichnet werden, aufbauend auf der Eins, aus der sich alle weiteren Anzahlen bilden lassen. Die Rolle der Null stellt einen besonderen weiteren Schwerpunkt dar. Bevor wir rechnen und mathematische Zusammenhänge erlernen können, entwickeln wir aufbauend auf Raum- und Gleichungsbegriff einen Zahlbegriff. Damit wir uns langfristig überhaupt einen Zugang zur höheren Mathematik verschaffen können, müssen alle Handlungsvarianten im grundlegenden Zahlraum vollständig „automatisiert“ gelingen.
 
Nur auf diesem Weg können wir darauf aufbauend weitere Automatisierungsprozesse etablieren. 
Im Grundlagenzahlraum automatisiert arbeiten bedeutet, dass alle rechnerischen Auseinandersetzungen mit Gegenständen, Zahlwörtern, Ziffern und Bildern flüssig möglich sind. Dies sollte rechtzeitig bis zum Ende des ersten Schuljahres gelingen, denn für jedes Kind vervielfachen sich Stärken und Schwächen in dem Maß wie neue Stellen und neue Inhalte hinzu kommen. Bereits kleinste Lücken innerhalb der Basis führen zwangsläufig zu unüberwindbaren Hindernissen bei Zahlraumerweiterungen und komplexeren Aufgabenstellungen. 
 
‚Wenn Pascal eine Mathearbeit schreibt, reicht selten die Zeit, um alle Aufgaben zu bearbeiten. Besonders die Sach- und Textaufgaben stellen ihn vor große Probleme. Während der Grundschulzeit erreichte Pascal noch Zweien und Dreien in Mathe. Jetzt, am Ende der fünften Klasse in der Realschule reicht es kaum noch zu einer Vier, obwohl er mit seinem Vater oft stundenlang übt. Sie wiederholen dann ausgiebig die Aufgabenstellungen, die Pascal während des Unterrichts nicht verstanden hat. Im Fach Deutsch wird eine Zwei im Zeugnis stehen. Doch Pascal ist verzweifelt: Seine Eltern hätten ihn gern auf dem Gymnasium gesehen und nun diese Fünf in Mathe.‘
 
Das von uns erstellte Mathematikbegabungsprofil deckte Wesentliches auf. Pascal verfügt über Kapazitäten, aber die wenigen grundlegenden Schwächen sind schwerwiegend. Vier der 25 Zahlbeziehungen bis 10 waren nicht automatisiert abrufbar, weshalb Pascal beim Verarbeiten dieser Zahlen und ihrer Analogien auf Zählstrategien zurückgreifen musste. Aufgaben wie  2 + _ = 9  gelangen nicht automatisiert. Natürlich können dann Aufgaben wie 20 + _ = 90 oder 32 + _ = 39  auch nicht automatisch durchgeführt werden. Ebenso ist vorteilhaftes Rechnen bei der Bewältigung des Zehnerüberganges nicht möglich. Um 38 + 9 zügig rechnen zu können, muss das Zerlegen der 9 schnell funktionieren: 38 + 2 + 7.
 
‚Außerdem konnte Pascal die handlungsorientierte Ebene des Vervielfachens und Teilens noch nicht darstellen. Er wusste zwar alles auswendig, hatte aber die Zusammenhänge nicht verstanden und deswegen auch keine tragfähigen Vorstellungsbilder entwickeln können. Textaufgaben bewältigte Pascal u.a. aus diesem Grund kaum. Beim Dividieren mit Rest benötigte er sehr viel Zeit, so dass ihm auch das Kürzen von Brüchen am Ende der fünften Klasse kaum gelang.‘
 
Weltweit plagen sich Menschen mit Hilfs- und Fehlstrategien herum. Es gelingt ihnen nicht anschauliche, räumliche Zusammenhänge herzustellen. Je mehr Zeit sie für das Rechnen benötigen, desto weniger können sie bekannte mit unbekannten Inhalten verknüpfen, neue Wege erschließen und anwendbare tragfähige Vorstellungsbilder entwickeln.
Es mangelt diesen Kindern meist nicht an Intelligenz; sie konnten nur bestimmtes Grundwissen nicht verankern. Auffällig ist, dass mindestens 90% dieser rechenschwachen Kinder eine gemeinsame Entwicklungsverzögerung nachweisen. Sie leiden unter der gleichen grundlegenden Schwäche: Ihnen gelingt der Umgang mit Zahlen bis 10 nicht perfekt. Das betrifft rechenschwache Menschen aller Altersstufen. Je früher solche und andere Lücken aufgespürt und behandelt werden, desto größer ist die Chance (mit fachgerechter Hilfe) langfristig auch im Fach Mathematik erfolgreich zu sein.
 
‚Im Umgang mit Anzahlen, Mengen, Ziffern und Zahlen kennt Bernd nur Stress. Spätestens am Ende der 2. Klasse haben Pädagogen und Eltern dieses erkennen müssen. Bis dahin konnte er sich durch immer ausgeprägteres Zählen und viel Auswendiglernen sehr mühsam und sehr langsam mit dem Lernstoff im Fach Mathematik auseinandersetzen.
Bernd ist seit einem Jahr mit dem Zehnerübergang konfrontiert. Bis heute ist es für ihn ein
Buch mit sieben Siegeln. Wenn Bernd rechnet, dann geht das so:
 
17 + 8 = 17 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 = 25
 
Im besten Fall funktioniert das schnell und es fällt keinem auf, dass Bernd nicht rechnet, sondern zählt.
 
Da Bernds Arbeitsgedächtnis stark beeinträchtigt ist, kann er diese mathematische Operation auch gar nicht anders leisten.
Beim Versuch, mit Bernd diese Aufgabe auf effektivste Weise durchzuführen, werden seine Probleme besonders deutlich.
 
17 + 8 = „Weißt du, wie viel du zur 17 dazutun musst, damit du 20 erhältst?“ „Ja, 3!“
(Womit es spontan so erscheint, als ob Bernd die „Partnerzahl“ der 7 kennt!)
 
Bernd sagt:
„17 + 3 = 20 und dann + 8. Also 20 + 8 = 28″
 
Offensichtlich konnte sich Bernd nicht merken, dass er ja schon drei addiert hatte oder er hat noch nicht erkannt, dass er die 3 aus einer Zerlegung der 8 erhält.
 
Möglicherweise konnte Bernd begreifen, dass die 8 passend zerlegt werden kann, hat diesen Vorgang aber noch nicht automatisiert, weil er zwischendurch die Zerlegung der 8 zusätzlich berechnen musste:
 
17 + 8 =
17 + 3 = 20
8 – 3 = 8, 7, 6 (Bernd zählt rückwärts, subtrahiert um 1)
17 + 6 nein. Wo waren wir noch? 
 
Bernd konnte einen Teil der Operation erfassen, jedoch kann er sich das Zwischenergebnis nicht merken, unter anderem, weil er die Differenz der 8 noch extra per Zählstrategie berechnen musste (wobei er sich auch noch verzählte).
 
17 + 3 + (8 – 3) = ??? Wie war noch die Aufgabe?
Da zähl ich doch lieber 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25
17 + 8 = 25 Das geht schneller!
 
Vor kurzem hat Bernd den ersten Summanden noch mitgezählt 17, 18, 19, … 24. Natürlich ist Bernd seit langem sehr überfordert. Er behilft sich bislang unerkannt mit verschiedenen Hilfs- und Fehlstrategien.
 
Sicher hat Bernd überhaupt noch keine tragfähigen Vorstellungsbilder im Bereich bis 10 entwickeln können. Die Zerlegung der 8 kann er nur zumTeil automatisiert abrufen.
Während gleichzeitiger motorischer Anstrengung ist er völlig überfordert. Auch andere Zahlbeziehungen ab 5 sind für Bernd nicht spontan verfügbar, so dass er, um überhaupt irgendwie mitzukommen, auf das zählende Rechnen angewiesen ist.
 
Weil 8-3 nicht automatisiert wurde, können die Aufgaben 18 – 3, 80 – 30, 180 – 30, 800 -300 u.s.w. auch nur per Zählstrategie und Bündelung der 10er und 100er bearbeitet werden. Wenn die Bündelung der Zehner nicht gelingt, ist jeder zählende Mensch spätestens ab 20 überfordert.
 
Bernds Mitschülerin Johanna muss sich zum Teil mit ähnlichen Problemen auseinandersetzen. Jedoch konnte sie Hilfsstrategien entwickeln, die ihre Probleme beim Rechnen erst zur Mitte des 3. Schuljahres sichtbar werden ließen.‘
 
 
‚Johanna ist nicht allein auf das Zählen angewiesen. Bei Aufgaben wie 17 + 8 rechnet sie
 
7 + 7 = 14
 
14 + 1 = 15 10 + 15 = 25 oder 17 + 7 = 24 + 1 = 25
 
Während Johanna sich Zwischenergebnisse zum Teil merken kann und Verdoppelungsstrategien benutzt, also offenbar auch schon eine gewisse Vorstellungsebene entwickeln konnte, muss Bernd immer wieder von vorne beginnend zählen, wenn er einmal
den Faden verliert.
 
Eines haben alle gemeinsam: Sie sind noch unsicher im Zahlenraum bis 10.
 
Pascal kann 4 von 25 Zahlzerlegungen nicht automatisiert bearbeiten.
 
Bernd kann die Hälfte der Zahlenbeziehungen von 6 – 9 noch nicht autornatisiert abrufen und er hat das Bündelungsprinzip noch nicht verstanden. Für Johanna sind ein Teil der Zerlegungen von 8 und 9 noch nicht automatisiert möglich. Sie kann schon Zehner und Einer bündeln. Für Johanna hat es fatale Folgen, dass sie Verdoppelungen, also Strategien im Zahlenraum bis 20 benutzt, obwohl sie im Zahlenraum bis 10 noch unsicher ist. Dieses Wissen nützt ihr wenig, wenn sie subtrahieren soll, denn dort gelingt es ihr nicht, die genügende Konzentration für die schwierige Operation aufzubringen.‘
 
16 + 27 = 43 – 27 =
10 + 20 = 30 43 – 13 = 30
6 + 7 = 13 27 – 13 = 14
30 + 13 = 43 30 – 14 = 16
 
Warum so kompliziert, wenn es einen Weg gibt, der vorwärts und rückwärts gut überschaubar funktioniert und der sicherstellt, dass die Zahlbeziehungen im Zahlenraum bis 10 vollständig automatisiert werden, womit die Grundlage für das Verständnis aller
analogen Operationen geschaffen wird.
 
16 + 27 = 43 – 27 = 
16 + 2O + 4 + 3 = 43 43 – 20 – 3 – 4 = 16
 
Dieser Weg lässt sich leicht auf dem allseitigen Hunderterfeld darstellen und sehr gut überschaubar veranschaulichen. Auch z.B. verbunden mit Alltagsgeschichten lassen sich leicht Vorstellungsbilder entwickeln.